Zum Lichtprojekt von Yvonne Leinfelder

Zwischen Wissenschaft und Mythos: Was passiert, wenn Licht wird

Von Jörg Bochmann
(Quantenphysiker)

Was ist Licht? Seit mehr als 2000 Jahren beschäftigt sich der Mensch mit dieser
Frage. Licht ist heute das am besten untersuchte und gleichzeitig rätselhafteste
Phänomen, dem wir je begegnet sind. Mehr als einmal glaubte man des Rätsels
Lösung gefunden zu haben, nur um eine oder mehrere Generationen später erneut
auf unerklärte Eigenschaften zu stoßen. Seit Mitte des 20. Jahrhunderts hat sich die
Erkenntnis durchgesetzt, dass die Frage, die wir an das Licht stellen, bereits ein
bestimmtes Erklärungsmodell impliziert. Die "Natur des Lichts" wird demnach durch
mehrere Modelle gleichzeitig beschrieben - die zwar die bekannten Phänomene
richtig erklären, sich zum Teil jedoch heftig widersprechen und uns damit auf die
Grenzen der menschlichen Erkenntnisfähigkeit hinweisen.
Und der Mensch liest, funkt, surft, wird zum Televisionär. Er deutet Zeichen und
beginnt schließlich zu ahnen, dass der physiologische Akt des Sehens noch nichts
erklärt. Mit dem Eintritt in ein mediales Zeitalter wird evident, dass Voraussetzungen
der Wahrnehmung existieren, durch die erst die Verschiebung von der Bildhaftigkeit
der Information hin zu ihrer semantischen Funktion ermöglicht wird. Es ist die zweite
kopernikanische Wende des Sehprozesses, in dem der Sehende wieder und doch
anders als in der Scholastik zum Akteur wird, der das Gesehene (re)konstruiert und
das geometrische Gitter mit Bedeutung verfugt. Die mediale Natur des Lichtes wird
aufs Neue offenbar, ohne dass sich dadurch seine Natur erhellt. The medium is the
message. Aber was ist das Medium?

Ich möchte im folgenden das „Lichtwerden“ in einem Raum – gemeint ist damit ein
exemplarisches „Zimmer“ und nicht die physikalische Entität – unter den Blickwinkeln
verschiedener physikalischer Modelle beschreiben. Nicht alle sind gleich
fundamental. Worauf ich abziele, ist vielmehr eine Überschreitung des alltäglichen
Erfahrungsbereichs. Dabei wird hoffentlich klar, wie reich an Phänomenen und wie
exemplarisch für unsere ganze Weltwahrnehmung dieser fast banal erscheinende
Vorgang ist. Ich verzichte dabei auf Mathematik und Darstellung in Formeln und
versuche Analogien zu entwickeln. Man darf sie deshalb auch nur als solche
betrachten. Wie immer bei der Übersetzung ins metaphorische besteht die Gefahr
des Missverständnisses oder der Verselbstständigung der Bilder. Jedem
Beschreibungsmodell ist der Übersichtlichkeit wegen ein Raum - der doch immer
derselbe ist, nur neu besehen - zugeordnet.

Raum 1: Planck-Strahlungsformel, Farbtemperatur und Lichtleistung
Verwandeln wir diesen Ort ins Imaginäre, wo wir wie Fremde in der Zeit alles wie in
Zeitlupe gedehnt und mit beschleunigten Sinnen wahrnehmen. Unvorstellbar
langsam bewegt eine Hand den Lichtschalter. in der Mitte der Bewegung etwa hört
man ein leises Knistern, hinter dem Schalter ein bläuliches Flackern von
überspringendem Strom. Danach herrscht Dunkelheit wie zuvor. Allmählich glimmt
da, wo wir die Zimmermitte und eine Lampe vermuten, ein schwacher rötlicher
Schein auf. Es ist der kleine gewendelte Faden der Glühbirne, der vom Strom zum
Glühen gebracht wird. Unsichtbar fließt die Elektrizität durch das Glühfädchen, ein
Hagel von Elektronen, der das Metall durchrauscht, auf das Gefüge der Atome stößt,
diese zum Schwingen bringt und das Glühfädchen dadurch immer weiter aufheizt.
Zunächst nur wenige hundert Grad heiß, taucht der Glühfaden den ganzen Raum in
ein mattrotes Licht, wie von einer späten Abenddämmerung. Indem die Temperatur
des Fädchens weiter steigt, wird das Leuchten des Drahtes heller und seine Farbe
verändert sich von einem Dunkelrot wie Lava, über Gelb-Orange wie Schmiedeeisen,
wenn man es aus dem Feuer zieht, in eine gleißend weiße Glut. Dies alles in
Bruchteilen von Sekunden.
Das heißt, kurz nach dem Einschalten des elektrischen Stroms sieht man den Raum
erst rot erleuchtet, blaue Gegenstände bleiben zunächst dunkel. Dann kommen mit
heißer werdendem Glühfaden allmählich gelbe, grüne und schließlich blaue
Farbanteile im Licht hinzu, und die entsprechendfarbigen Gegenstände im Raum
werden nacheinander sichtbar. Das Blau wird dabei in unserem Raum nie so intensiv
wie bei Tageslicht, weil der Glühfaden nie die Temperatur der Sonnenoberfläche
erreicht und sein Licht weniger blaue Spektralanteile enthält. Erst wenn die Lampe
ihre endgültige Temperatur und ihr Licht seine endgültige spektrale Verteilung
(Farbtemperatur) erreicht hat, bleiben die Farben des Raums stabil. Das Anschalten
des Lichts im Raum ist deshalb wie eine in Bruchteilen von Sekunden ablaufende
Morgendämmerung, bei der ein rötlich schwaches Licht in den hellen Tag übergeht.

Raum 2: Lichtausbreitung und geometrische Optik
Der Mensch erkennt nur deshalb Konturen und Gegenstände in einem Raum, weil
das Licht bei seiner Ausbreitung eindeutigen Naturgesetzen folgt. Nur Aufgrund
dieser Kausalität kann das Gehirn aus dem Lichtmuster auf der Netzhaut des Auges
die Umgebung rekonstruieren. Licht breitet sich geradlinig aus - daraus folgt die
geometrische Konstruktion der Lichtstrahlen, der Sehwinkel und die Perspektive.
Paradoxerweise kann man einen Lichtstrahl nicht sehen. Das einzige, was man
sieht, ist der Lichtpunkt, den er auf der Netzhaut erzeugt.
Allerdings kann man seine Spur nachverfolgen: wenn ein Sonnenstrahl durch eine
Wolkendecke bricht und die Luftfeuchtigkeit hoch genug ist (z.B. über dem Meer),
sieht man scheinbar einen Strahl. Was man aber in Wirklichkeit sieht, ist nur das
Licht, das aus dem Strahl in Richtung des Beobachters herausgestreut wird. Um im
Bild zu bleiben: durch das Loch in der Wolkendecke stoßen unendlich viele strahlen
(die man summierend als "ein großer Strahl" beschreibt), die parallel in Richtung
Meeresoberfläche laufen. Auf dem Weg dorthin treffen viele dieser Strahlen auf
Wassermoleküle (die Luftfeuchtigkeit!) und werden dadurch aus dem "großen
Strahl" herausgestreut. Einige davon wiederum treffen auf das Auge des
Beobachters und erzeugen Lichtpunkte auf der Netzhaut. Sie sind ein Abbild der
Spur dieses "großen Strahls" vom Loch in den Wolken zur Meeresoberfläche. Die
Spuren der Lichtstrahlen, die auf das Auge treffen, sieht man genau deshalb
natürlich nicht und dies ist das Paradox: man sieht nur den Teil des "großen Strahls",
der sich eben gerade nicht geradlinig vom Wolkenloch zur Meeresoberfläche
ausbreitet, sondern herausgestreut wird. Es ist lediglich vernünftig anzunehmen,
dass die Geradlinigkeit der Spur gestreuten Lichts, die der „große Strahl“ hinterlässt
ein allgemeines Gesetz ist und ebenso für jeden anderen Lichtstrahl gilt.
Beim Einschalten des Lichts in einem Raum sieht man deshalb auch keinen
Strahlenkranz, der sich um die Lampe ausbreitet, sondern nur das Licht, was von
den Gegenständen im Raum in Richtung Auge reflektiert wird. Würde man den
Raum mit leichtem Nebel (die Wassermoleküle!) füllen, könnte man dann im Prinzip
mit einer unendlich schnellen Kamera sehen, wie beim Einschalten eine Kugel aus
Licht sich um die Lampe als Mittelpunkt ausdehnt? ... nein. Wegen der
unterschiedlichen langen Lichtwege zur Kamera, würde man als außenstehender
Beobachter nie eine Kugel sehen. Die tiefere Bedeutung dieser Unmöglichkeit wird
erst durch die Relativitätstheorie erklärt. Was bleibt ist die Möglichkeit, all diese
Subtilitäten der Beobachtung aus einem Modell zu entfernen und auf die Geometrie
zu vertrauen, sich einfach vorzustellen wie diese Strahlen geradlinig und in alle
Richtungen vom Glühfaden aus in den Raum schießen, auf Hindernisse treffen,
wieder und wieder abgelenkt werden und so bald den Raum mit einem Gewirr von
kreuz und quer verlaufenden Geraden füllen – gegen das sich die
Konstruktionszeichnung einer Zentralperspektive erstaunlich leer und geordnet
ausnimmt.

Raum 3: Raum, Zeit, Licht und die Relativitätstheorie
Was sieht man, wenn man in diesen hellen Raum schaut? Vergangenheit. Und man
schaut umso tiefer in die Vergangenheit je weiter man schaut. Das kann man am
besten an einem Beispiel verstehen. In dem Raum stehen zwei Vasen mit frischen
Blumen. Eine Vase nah, die zweite am anderen Ende des Raumes. Nehmen wir nur
zur Verdeutlichung des Effekts an, Licht breitet sich in diesem Raum mit der
Geschwindigkeit - vielmehr der Langsamkeit - einer Schnecke aus oder sogar noch
etwas langsamer ... .
Nach einiger Zeit beginnen die Blumen in ihren Vasen zu welken. Tatsächlich sehen
wir die Blumen in der näher stehenden Vase bald zusammensinken, die in der
entfernt stehenden Vase seltsamerweise jedoch nicht. Die Ursache ist, dass wir in
der einen Vase die Blumen von heute, in der anderen die von gestern sehen. Das
Licht von der entfernten Vase braucht wegen des weiteren Wegs viel länger (einen
ganzen Tag bei unserem langsamen Licht) um zu unserem Auge zu gelangen. Man
sieht von jener fernen Vase das Licht und die Blumen vom Vortag und deshalb
erscheinen sie noch frisch! und obwohl Licht in Wirklichkeit sehr viel schneller ist (die
Lichtgeschwindigkeit beträgt 300000 km pro Sekunde), benötigt es doch eine
gewisse Zeit, um unseren Raum zu durchqueren. Man schaut also tatsächlich in die
Vergangenheit zurück, wenn man den Blick durch den Raum streifen lässt.
Diese Argumentation ist zwar in ihrem Ergebnis etwas befremdlich, vertraut aber
dennoch auf eine konventionell dahintickende Zeit. Aus genauen Messungen kann
man jedoch ableiten, dass die Lichtgeschwindigkeit von universaler Bedeutung ist:
kein Signal, keine Verknüpfung von Ursache und Wirkung kann schneller als mit
Lichtgeschwindigkeit von a nach b gelangen.

Diese Verknüpfung mit dem Kausalitätsbegriff führt dazu,
dass ein neuer Begriff von Gegenwart entsteht.
Gleichzeitigkeit von zwei Ereignissen x und y ist dann dadurch definiert, dass ein
Lichtstrahl, der zum Zeitpunkt des Ereignisses x am Ort von x ausgesendet wird zum
Zeitpunkt des Ereignisses y am Ort von y eintrifft. Auf diese Weise definiert allein das
Licht die Gegenwart und Zeitordnung der Kausalität. Das klingt esoterisch, ist aber
die Grundlage der Relativitätstheorie, die mittlerweile durch Messungen gut bestätigt
ist. In dem betrachteten Raum wird beim Einschalten des Lichts also das Raum-Zeit-
Gefälle zwischen "hier" und "dort", die Metrik der Kausalität sichtbar gemacht.
Auf den Einschaltvorgang angewendet, ergibt sich, abgesehen von der Frage nach
Kausalität und Gegenwart ein recht einfaches Verhalten. Die Lichtstrahlen breiten
sich kugelförmig von der Lampe aus. Einige davon gelangen direkt ins Auge des
Beobachters - sie haben den kürzesten Weg und man sieht den Glühfaden deshalb
zuerst. Alle anderen Strahlen breiten sich weiter geradlinig aus bis sie auf ein
Hindernis, die Oberfläche eines Gegenstands, treffen. Von dort werden wiederum ein
paar Strahlen zufällig in Richtung des Beobachters reflektiert und treffen nach einer
gewissen Laufzeit am Auge ein. Weil diese Laufzeit mit zunehmender Entfernung
zwischen Gegenstand und Beobachter größer wird, treffen die Strahlen von weiter
entfernten Gegenständen später am Auge ein. Könnte man in einer Simulation
"langsames Licht" verwenden, so würde beim Einschalten des Lichts zunächst der
Glühfaden aus der Dunkelheit auftauchen, dann die nächstgelegenen Gegenstände.
Die Grenze zwischen Dunkelheit und sichtbar gewordenem Gegenstand würde
langsam in die gegenüberliegende Ecke des Raumes zurückweichen, um dann am
entferntesten Punkt zu verschwinden. Das Raum-Zeit-Gefälle zwischen "hier" und
"dort" wäre darin intuitiv enthalten: weiter entfernt liegende Gegenstände werden
später sichtbar als die nähergelegenen. Die Gegenwart ist nur ein Berg aus
Vergangenheit, auf dessen Spitze wir sitzen.

Raum 5: Die klassische Theorie elektromagnetischer Wellen
Vor der Entdeckung der Quantenphysik schien es kaum Zweifel daran zu geben,
dass Licht eine sich im Raum ausbreitende Schwingung, also eine Welle ist. Es hat
eine Frequenz und zeigt typische Welleneigenschaften wie Beugung und Interferenz.
Nur war lange Zeit nicht klar, was da eigentlich schwingt. Bis weit ins 19. Jahrhundert
hinein hatte man geglaubt, dass es einen Äther, einen Lichtstoff geben müsse, der
das Universum ausfüllt. Danach setzte sich die Ansicht durch, dass das Licht den
elektrischen und magnetischen Phänomenen verwandt sei. Maxwell fand schließlich
eine äußerst elegante mathematische Beschreibung elektromagnetischer
Feldphänomene und es zeigte sich, dass alle damals bekannten Eigenschaften des
Lichts mit dieser Theorie der elektromagnetischen Wellen erklärbar waren. Man
muss sich Licht demnach ganz so wie eine Radiowelle vorstellen: in einer Antenne
schwingt ein elektrischer Strom, der den umgebenden Raum mit einem
schwingenden elektrischen Feld ausfüllt. Alle schwingenden elektrischen Felder aber
umgeben sich mit schwingenden magnetischen Feldern; diese wiederum umgeben
sich mit ... schwingenden elektrischen Feldern. Und so weiter. Das heißt, von der
Antenne gehen elektromagnetische Wellen aus, die sich im ganzen Raum ausbreiten
- interessanterweise exakt mit Lichtgeschwindigkeit. Demnach unterscheiden sich
Radiowellen und Licht nur dadurch, dass Licht eine sehr viel höhere Frequenz hat als
Radiowellen. Denkt man sich Atome und Elektronen als kleine schwingende
Antennen für Licht, hat man schon ein einfaches Modell für die Entstehung des
Lichts.
Wenn man in einem Raum also das Licht einschaltet, wird er bald ganz von diesen
elektromagnetischen Wellen erfüllt. Die Gegenstände im Raum bestehen aus
Atomen, die wie Antennen für dieses Licht funktionieren und es absorbieren und
wieder abstrahlen können. Die Eigenschaften dieser mikroskopischen Antennen
bestimmen wie gut und in welchen Farben ein Gegenstand Licht absorbiert oder
reflektiert. Man könnte mit Blick auf Radiowellen fast behaupten, dass sich alle
Gegenstände im Raum ständig anfunken – der wichtigste Sender ist die Lampe, mit
dem Klicken des Schalters geht er „on air“.